3.1.7 Montage (Schnitt)
Die Montage der einzelnen Teile, der Schnitt 1), oder die "Organisation
des Bildes in der Zeit" wie es der Filmtheoretiker Bazin formulierte, ist
eines der wichtigsten filmischen Gestaltungsmittel. Das Phänomen des Schnittes
in Form und Wirkung ist zu komplex und nur zum Teil der analytischen Betrachtung
zugänglich, als daß die vielfältigen theoretischen und filmästhetischen
Erörterungen zu diesem Thema hier referiert werden können. Für den Zweck
dieses Buches sei nur auf zwei Aspekte des Schnitts eingegangen: die Zeitverkürzung
und die Kontextwirkung, die durch die Montage auf die einzelne Einstellung
entsteht. Darüber hinaus wird noch auf Schnitt und Blende als Form der Verbindung
der Einstellung und ihre jeweilige Wirkung eingegangen.
Der Schnitt hat fast immer die Funktion der Zeitverkürzung: Ein Vorgang,
der in Wirklichkeit Stunden, Tage oder gar Jahre dauert, kann durch den
Schnitt auf wenige Minuten verkürzt werden, ohne daß der Zuschauer das Bewußtsein
für den realen Zeitablauf verliert. Dies ist nicht nur beim Spielfilm der
Fall, wo etwa der ganze Lebenslauf eines Menschen in 90 Minuten erzählt
wird. Auch in der filmischen Dokumentation wird dieses Mittel genutzt. Z.B.
wird der Verlauf einer fünfstündigen Bundestagsdebatte für die Fernsehnachrichten
zu einem Fünfminutenbericht "zusammengeschnitten". Gerade das letztere Beispiel
zeigt aber auch, wie heikel das Problem der Zeitverkürzung ist. Die Aufgabe,
einen an sich länger dauernden Vorgang (z.B. eine Bürgerversammlung, eine
Diskussion, ein Schulfest, eine Unterrichtsstunde) in verkürzter Form zu
dokumentieren, ist sehr häufig. Es seien daher wenigstens einige Kriterien
genannt, die für korrekte Verfahrensweise beim Schnitt gelten:
1. Die zeitliche Reihenfolge des Originalereignisses muß beibehalten werden, sofern dies für den Inhalt nicht gänzlich unwichtig ist.
2. Der einzelne Montageteil sollte nicht aus dem Zusammenhang gerissen sein, sondern - gewissermaßen im Sinne eines korrekten Zitats - eine Inhaltseinheit unverfälscht wiedergeben.
3. Die Montage sollte so erfolgen, daß aus den gezeigten Teilen für den Zuschauer der gesamte Ablauf in seiner zeitlichen und inhaltlichen Dimension erkennbar wird, daß der Film "repräsentativ" für den wirklichen Vorgang ist. Insbesondere der letzte Punkt beinhaltet, daß in die Auswahl des "Repräsentativen" des für den Vorgang "Wesentlichen", die subjektiven Kriterien des Autors einfließen. Deshalb ist zu fordern, daß
4. die Auswahlkriterien, die der Bearbeitung zugrunde lagen, explizit oder immanent erkennbar sind.
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1) Der Begriff "Schnitt" wird im Deutschen in dreierlei Bedeutung gebraucht: 1. gleichbedeutend mit Montage für die formal-inhaltliche Organisation des Bildmaterials; 2. Für den technisch-handwerklichen Vorgang des Zusammenfügens der Bildteile, sei es als Film-Schnitt, sei es als elektronischer Schnitt; 3. im Gegensatz zur Blende als Bezeichnung für die harte, übergangslose Zusammenfügung zweier Einstellungen.
3. Video-Dramaturgie
3.0 Vorbemerkung
In dem Kapitel „Video-Dramaturgie" (1) werden die Gestaltungsmittel von Film und Fernsehen (bzw. Video) und ihr videospezifischer Einsatz behandelt. Dabei kann naturgemäß nur auf einige grundlegende Elemente und ihre Verwendung eingegangen werden, da die Struktur der audiovisuellen Medien sehr komplex ist. Auf der anderen Seite ist für die Erstellung einer Videoproduktion nicht unbedingt die Kenntnis und rationale Durchdringung sämtlicher Gestaltungsmittel erforderlich. Auch die mündliche Sprache benutzen wir ja, ohne uns jeweils der sprachlichen Gestaltungsmittel und ihrer Regeln bewußt zu sein. Ebenso verstehen wir die Sprache (2) der audiovisuellen Medien weitgehend intuitiv ohne rationale Durchdringung, da wir ja darin täglich geschult werden; sei es durch die unvermittelte Wahrnehmung der Umwelt, sei es durch die Film- oder Fernsehrezeption. Ein wesentlicher Unterschied besteht allerdings: Wir lernen von Kindheit an, die natürliche Sprache auch aktiv zu gebrauchen. Der Gebrauch visueller oder audiovisueller Sprachen ist dagegen für die meisten Menschen auf die Rezeption beschränkt. Dies ist ein kulturhistorisch nicht unerheblicher Zustand; vergleichbar der früheren Situation, in der die Lese- und Schreibkundigkeit auf wenige Gebildete und Professionelle beschränkt war. Die Beherrschung der „filmischen Dramaturgie" bedeutet also, anders formuliert, die aktive Verwendung und den Umgang mit der filmischen Sprache.
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1) Der Begriff „Dramaturgie" stammt ursprünglich aus dem Theaterwesen und bezeichnet die Gesamtheit der theaterspezifischen Mittel, Verfahren oder Techniken, die-insbesondere von Autor. Dramaturgen und Regisseur - eingesetzt werden, um auf der Bühne bestimmte Wirkungen zu erzielen. In analoger Weise wird der Begriff auch auf den Film und das Fernsehen angewandt.
2) Man hat sich angewöhnt, auch bei anderen Medien von „Sprache" zu reden, insbesondere von der „Sprache des Films". Dies resultiert aus der kommunikationstheoretischen und semiotischen (zeichentheoretischen) Betrachtungsweise. Dabei werden alle Kommunikationsformen einschließlich der natürlichen Sprache als Zeichensysteme betrachtet. Diese bestehen aus Elementen oder Gruppen von Elementen, die mehr oder weniger komplex verknüpft sind. Zeichensysteme mit relativ einfachen Strukturen sind etwa das Morsealphabet, Computersprachen oder das System der Verkehrszeichen. Die Struktur komplexer Zeichensysteme (also die Beziehungen der Zeichen untereinander, zu dem bezeichneten Gegenstand und zu dem Benutzer) ist dagegen nur teilweise rational zu entschlüsseln. Eine strenge Anwendung der Zeichentheorie, ähnlich etwa wie bei den künstlichen Sprachen, auf die Filmsprache ist bisher nicht möglich. Dennoch hat sich die semiotische Betrachtungsweise als außerordentlich fruchtbar für die Analyse von Filmen erwiesen. Auch die Filmsprache besteht aus Elementen, die sich in festgelegter Art und Weise zu Strukturen zusammenfügen. Beispielsweise kann man die Einstellung als Element des Films mit dem Wort als Element der Sprache vergleichen, die Sequenz mit dem Satz usw. Allerdings ist die Analogie begrenzt.
Die Entstehung des Buchs "Videopraxis" fiel in eine Zeit, in der die Videotechnik außerhalb der professionellen Verwendung alltagstauglich wurde und allmählich Eingang als Unterrichtsmedium in alle Bereiche des Bildungswesens fand. Das Buch folgt dem Grundgedanken, dass Media Literacy sich am besten über die eigene Praxis im Umgang mit Medien erreichen lässt. Der Autor hat daher versucht seine eigenen Erfahrungen in der professionellen Medienproduktion in eine Art Lehr- und Anleitungsbuch umzusetzen.